Carl Gebhardt over Willem Meijer én het ontstaan van de Societas Spinozanum

Gisteren moest ik even iets opzoeken in het tijdschrift Chronicon Spinozanum, deel IV dat de jaren 1924 t/m 1926 omvat, en zag dat daarin een portret van Dr. Willem Meijer was opgenomen bij een herdenkingsartikel over hem van de hand van Carl Gebhardt (p. 232-245). Je krijgt bij Google tot heden geen afbeelding van deze grote stimulator van het Spinozisme. Daaraan ga ik een einde maken door bij het eerdere blog over Willem Meijer deze afbeelding te plaatsen. Maar toen ik Gebhardts artikel las, waarin ik mij niet eerder bekende informatie over Meijer aantrof, maar ook veel over het ontstaan van de Societas Spinozanum (waardoor het een wat eigenaardig In Memoriam werd), besloot ik dit stuk in dit blog op te nemen. Misschien is er nog iemand die aan zulke stukken plezier beleeft.

Dr. Willem Meijer

 

                                       DR. WILLEM MEIJER.

Am 5. Januar 1926 ist 84jährig Dr. Willem Meijer im Haag gestorben. Die Lebenskraft, seit 1921 schon merklich sich mindernd, war verbraucht. Uns bleibt — sub specie aeterni — die Idee Willem Meijers. Der Spinozist vermag nicht an Unsterblichkeit als unendliche Fortdauer des Persönlichkeitsbewußtseins zu glauben. Unsterblichkeit ist ihm nicht Gabe, die ein außerweltlicher Gott zu Heil oder Unheil verliehe, sondern Aufgabe, die jedem einzelnen das Leben Stellt und deren Erfüllung neue Aufgabe für die Nachwelt bedeutet. Das Ziel der immanenten Ethik liegt in der Vollendung: daß ein jeder die Sphäre seines Handelns so weit erstrecke, als seine Wesenheit reicht, ist das einem jeden gesetzte Ziel. Wie die Idee nicht das stumme Bild in der Seele bedeutet, sondern die bewußte Bejahung, So bedeutet Leben ein strebendes Bemühen. Die Idee aber, die ihre Vollendung erlangt, will im Bewußtsein der anderen verwirklicht werden, um auch in ihnen Leben zu wirken.

Von Dr. Willem Meijer darf gesagt werden, daß er nicht nur der Senior der europäischen Spinozaforschung, sondern daß er wahrhaft Spinozist gewesen ist.

Spinozist sein bedeutet nicht: diese oder jene Lehrmeinung für wahr halten. Der freieste Geist Europas soll nicht zu neuer Dogmatik werden. Spinozist sei, wer aus Spinoza die lebendige Kraft seines Lebens gewann.

Das erste Merkmal des Spinozisten ist die Sachlichkeit. Vielleicht war es die kühnste Neuerung Spinozas, daß er den Anthropocentrismus aus der Weltbetrachtung verbannt hat: nicht der Maßstab des Menschen soll den Wert der Dinge bestimmen. So ist Spinozas Leben ganz objectiv, ganz um der Sache willen gelebt.

Kann es ein vollendeteres Beispiel jener letzten Sachlichkeit geben als die Bestimmung, daß das Hauptwerk seiner Philosophie ohne Seinen Namen erscheine, weil er nicht wollte, daß seine Lehre mit seinem Namen verbunden Sei? Die Wahrheit war ihm anonym: die Sache gilt, die Person will keine Geltung.

Das zweite Merkmal des Spinozisten ist der philosophische Eros. Seiner Lehre voraus hat Spinoza das Bekenntnis gestellt: es gehört auch zu meinem Glück, mir Mühe zu geben, daß viele andere dasselbe wie ich verstehn, daß ihr Verstand und ihre Begierde völlig mit meinem Verstand und meiner Begierde übereinkommen. Der Spinozismus müßte nicht aus der religiösen Sehnsucht seiner Zeit hervorgegangen Sein, wenn er nicht in der Kraft Seiner Überzeugung alle hätte verbinden wollen, deren Geist er freimachen mochte von den Vorurteilen der Zeit, wenn er nicht in allem jenes Gottesbewußtsein hätte wirken wollen, das er als das höchste Gut der Menschen erkannte.

       Was suchte ich den Weg so sehnsuchtsvoll

       Wenn ich ihn nicht den Brüdern zeigen soll?

Dr. Willem Meijer hat, wenn je ein Mensch, aus der Idee Spinozas gelebt. Sein Leben war Ausdruck reinster Sachlichkeit, Dienst am Volke.

Dr. Willem Meijer, der am 18. November 1842 in Amsterdam geboren ist, gehörte einer Familie an, deren lutherischer Glaube ihre deutsche Abstammung wahrscheinlich macht. Holland ist unter allen protestantischen Ländern wohl dasjenige, bei dem das Christentum am Spätesten in das Stadium der Uneigentlichkeit eingetreten ist. In der Jugend Meijers war in jedem Falle die holländische Religiosität noch nicht in einen vagen Allegorismus aufgelöst, der, unter Beibehaltung einiger vieldeutiger Formeln, jede Überzeugung noch als christlich toleriert, die sich christlich nennt; vielmehr war das holländische Christentum wirklich Bekenntnis des christlichen Mysteriums und forderte Bekenntnis. Nun aber begann die Einwirkung von David Friedrich Strauß und der Tübinger Schule auch auf die holländische Theologie, und es hob jener Kampf zwischen Confession und Historie an, der in Deutschland im Grunde damals Schon längst entschieden war. 1862 begann Willem Meijer in Leiden Theologie zu studieren. Es ist nichts darüber bekannt, daß er schon in dieser Zeit einen nachhaltigen Eindruck vom Theologisch-Politischen Tractat empfangen hätte, den er Später als das erste der Werke Spinozas übersetzt hat. Gleichwohl wirkt ja mannigfach umgesetzt die Bibelkritik des Theologisch-Politischen Tractats durch Richard Simon, Semler, David Friedrich Strauß im modernen Bewußtsein. Es ist für die Sachlichkeit Meijers, bezeichnend, daß für ihn der Zwiefpalt eben dieses modernen, historifch geschulten Bewußtseins und der aufrecht erhaltenen Religionsformen untragbar war. Er ging für ein semester nach Deutschland, um sich klar zu werden, wie man dort den unvermeidbaren Conflict löse; dann gab er das Studium der Theologie auf und trat einige Jahre später aus der Kirche aus.

In den nächsten Jahren hat Willem Meijer seine Studien vor allem im Lateinischen und in der Geschichte fortgesetzt. Er hat Sich damals die Sicherheit im Gebrauch der lateinischen Sprache erworben, wie er denn zeitlebens im Lateinischen die gegebene Universalsprache der Gelehrten Sah.

Es mag dem ersten Blick befremdend erscheinen, daß Willem Meijer, vor die Wahl des lebenerfüllenden Berufs gestellt, sich nicht für Geisteswissenschaft oder Jugenderziehung entschied, sondern für den Landbau (1868). Er tat es nicht um des Erwerbes willen (dieses Motiv brauchte für den Sohn des Amsterdamer Patricierhauses keine Rolle zu spielen), sondern um der Tätigkeit willen. Vielleicht mochte damals seiner Sachlichkeit die Sorge um den Lebensbedarf als die unproblematischste Form des Dienstes am Volke erscheinen.

Im ganzen seines Lebens gesehn mag man die zwölf Jahre, die er dem Landbau gewidmet hat, als einen Umweg betrachten. Sie fielen in die Zeit, da gerade die holländische Getreidewirtschaft durch den südamericanischen Getreide-Import erdrosselt wurde, und so vertagte sich ihm das vollendete Werk. Zugleich bewirkte der Umweg, daß er zwölf Jahre später zu seiner Lebensarbeit kam.

In diesen Jahren des Landbaus hat sich bereits Meijer der Tätigkeit zugewandt, die dann einen großen Teil seines Lebens erfüllen sollte: der Volksbildungsarbeit, indem er eine Ortsgruppe der Maatfchappij tot Nut van 't Algemeen, einen Gesangverein, eine Volksbücherei und andere Volksbildungseinrichtungen, darunter eine Vereinigung für moderne Principien ins Leben rief. Nachdem er Sich 1879 nach schwerer Krankheit vom Landbau abgewandt und in Haarlem niedergelassen hatte, hat er sich zunächst ganz der Volksbildungsarbeit gewidmet. Dazu diente ihm in dem Jahrzehnt von 1880—1890 eine ausgedehnte journalistische Tätigkeit. Die Sorge um die Volkserziehung führte ihn auch der Politik zu. Es ist die Zeit, da sich überall in Europa der Liberalismus alten Schlages, wie er im Manchestertum seinen Ausdruck fand, überlebt hatte. Der sociale Gedanke, allenthalben zum Durchbruch gelangt, suchte nach neuen Parteiformen und Meijer stand in der ersten Linie jener Radicalen, die gegenüber dem conservativen Liberalismus die Sociale Forderung einer neuen Zeit vertraten. Dabei fanden die Interessen des Landbaus in ihm immer einen kenntnisreichen Fürsprecher und es hat einmal nicht viel gefehlt, daß er in eine entscheidende Stelle der niederländischen Verwaltung als Sachkenner der Landwirtschaft gekommen wäre.

Das religiöse Interese, das die ersten Studien Willem Meijers bestimmt hat, hat ihn nie mehr verlassen. Er war Freidenker aus Grundsatz und fand Sich immer mehr und mehr in einer Übereinstimmung der Grundsätze mit der Philosophie Spinozas. Nachdem er sich 1890 im Haag niedergelassen hatte, widmete er sich immer ausschließlicher (neben der niemals aufgegebenen Socialen und Volksbildungsarbeit) dem Studium des Lebens und der Lehre Spinozas und der Verbreitung des Spinozismus.

Als Spinozaforscher ist Meijer zuerst durch Seine holländische Übersetzung der Werke Spinozas bekannt geworden, die von 1895 bis 1901 erschien. Für Holland bedeutet die Ausgabe Meijers die classische Übertragung, für die europäifche Spinozaforschung bedeutet sie den Anbruch der neuen textkritischen Untersuchung. Die Ausgabe von Vloten und Land (1882—1883) war wohl mit dem Anspruche aufgetreten, editio definitiva zu sein; aber sie war weit davon entfernt, die Textgeftaltung als solche als Problem zu nehmen, wie sie bei der Unsicherheit der Textüberlieferung tatsächlich genommen werden muß. Es ist das große Verdienst Willem Meijers, daß er mit außerordentlichem Feingefühl alle Textstellen herausgefunden hat, die einer Besserung bedürfen, und daß er mit nicht geringem Scharfsinn Stets die textkritische Frage dargelegt und seinen Besserungsvorschlag begründet hat. Seine Arbeit stellt ihn in die Reihe der großen Editoren, die im 17. Jahrhundert den Ruhm der niederländischen Philologie begründet haben. Es ist Meijer nicht vergönnt gewesen, auf der von ihm gelegten textkritischen Grundlage die editio definitiva selbst zu schaffen, wie er es in Gemeinschaft mit Dr. J. H. Leopold einmal geplant hat. Ja, es wurde ihm aus falschverstandener Pietät sogar verwehrt, die neuen Drucke der Vloten-Landschen Ausgabe zu überwachen, so daß diese in einen Zustand völliger textlicher Verwahrlosung geraten konnten. Nur bei dem Sonderdruck der Ethica hat Meijer als Corrector gewaltet und, ohne über die Textgestaltung Lands hinauszugehn, was jenseits seiner Aufgabe gelegen wäre, einen peinlich correcten Druck wenigstens des Spinozanischen Hauptwerks gewährleistet.

Eine Ergänzung Seiner Spinoza-Übertragung lieferte Meijer in der Facsimile-Ausgabe der erhaltenen Spinozabriefe. Auch hier bewährte er die höchste Akribie und gab zugleich aus Seiner umfassenden Sachkenntnis des Lebens und der Umwelt Spinozas einen Commentar, der auf seinem umgrenzten Gebiete erschöpfend ist und damit ein Programm bildet für den Sachcommentar zum Gesamtwerk Spinozas, den die Spinozaforschung einmal wird erwarten dürfen.

In der gleichen Zeit (1902—1903) veröffentlichte Meijer einige Aufsätze im Archiv für Geschichte der Philosophie, deren großes Verdienst es war, den immer noch viel zu abstract gefaßten Philosophen in die historischen Zusammenhänge Seiner Zeit gestellt zu haben. Die Aufsätze, die den Titel führen Wie sich Spinoza zu den Collegianten verhielt und Spinozas demokratische Gesinnung und sein Verhältnis zum Christentum (im XV. und XVI. Bande des Archivs) waren hervorgerufen durch den aller Kenntnis der geistesgeschichtlichen Situation der Niederlande entbehrenden Versuch Menzels, Spinozas politische Grundanschauungen aus seinen freundschaftlichen Beziehungen zu den Collegianten herzuleiten. Ludwig Stein, der Herausgeber des Archivs, der die Bedeutung der Arbeiten Meijers für die Spinoza-Forschung mit klarem Blick erkannte, hat wenige Jahre später (1906) die Anregung dazu gegeben, daß Meijer von der Universität Utrecht das Ehrendoctorat verliehen wurde.

Um diese beiden grundlegenden Aufsätze gruppieren sich einige Studien, die den Kreis um Spinoza zu ihrem Gegenstände haben. So hat Meijer alles gesammelt, was sich von dem ersten Biographen Spinozas, dem Arzte Lucas, feststellen ließ (Archiv für Gefchichte der Philosophie, IX. Band, 1898 u. a.), so hat er das Material zur Lebensgeschichte des Spinoza-Schülers Casearius zusammengestellt (Archif v. NederL Kerkgeschiedenis, 1902), so auch in Schuller den Arzt festgestellt, der beim Tode Spinozas zugegen war (De Navorscher, 47. Jrg., 1897) oder die erste Wohnung Spinozas im Haag ermittelt (De Haghe, 1902). Es bleibt zu bedauern, daß Meijer niemals aus seiner Materialkenntnis heraus eine umfassende Lebensbeschreibung Spinozas in Angriff genommen hat. Immerhin mag das kurze Lebensbild Spinozas, das er 1916 in der Sammlung Populair Wetenschappelijk Nederland gegeben hat und in dem eine erstaunliche Fülle des Materials in knappester Darsteilung bewältigt ist, uns einen Ersatz dafür bieten.

Manche Relultate seiner Forschung hat Meijer nicht zu eigenen Publicationen verwertet, Sondern den Büchern anderer beigesteuert. Manches hat ihm Sicher Meinsma zu danken, außerordentlich vieles Freudenthal in seiner Quellenpublication der Lebens geschichte Spinoza's ebenso wie in seinem Leben Spinozas, und auch Dunin Borkowskis Forschungen hat er mit gleichem Interesse gefördert. Stets kam es ihm nur auf die Erkenntnis, nie auf die Geltung der eigenen Person an.

Man mag es beklagen, daß so dem Werke Meijers der äußere Abschluß versagt war, und man mag in seinem Leben die gleiche Tragik finden, die auch über dem Leben Freudenthals gewaltet hat: daß er zu Spät zu seinem Lebenswerke kam. Aber wer nicht in der äußeren Vollendung, sondern in der Fortwirkung die Erfüllung eines Lebens sieht, dem muß Meijers Leben als ein vollendetes gelten. Hat er doch auf mehr als einem Gebiete Schöpfungen ins Leben gerufen, die lebendig in die Zukunft wirken. So hat er 1906 in Amsterdam, 1907 im Haag die Vereeniging voor Wijsbegeerte im Anschluß an seine Spinozavorlesungen gestiftet, Gefellschaften, die das philosophische Interesse in diesen Städten concentrieren und wach erhalten, und von ihm ging die Anregung zur Gründung der führenden philosophischen Zeitschrift der Niederlande, der Tijdschrift voor Wijsbegeerte aus. Als Mitleiter der Vereine Armenzorg und Pro Juventute sah sich Meijer vor das Problem gestellt, für die moralische Erziehung solcher Kindersorge zu tragen, die der elterlichen Gewalt entzogen sind und nicht einer bestimmten Glaubensgemeinschaft angehören, und er gründete dazu den Verein Zedelijke Opvoeding, wie er denn auch selbst wohl katechetischen Unterricht leitete.

Die in der Geschichte des Spinozismus wichtigste seiner Schöpfungen ist die Vereeniging het Spinozahuis, in der zum erstenmal den Bestrebungen zur Lebendigerhaltung der Spinozanischen Lehre ein fester Mittelpunkt gegeben wurde. 1897 wurde die Vereeniging begründet, die sich als erstes Ziel Stellte, das kleine Haus anzukaufen, das Spinoza von 1660 bis 1663 in Rijnsburg bewohnt hat, und es im Stile jener Zeit wiederherzustellen. Nicht ohne Schwierigkeit konnte dies gelingen : selbst für das Haus Spinozas habe ich nur auf Umwegen, Vaterlandsliebe, litteraire Sympathieën, Judenstolz und dergleichen mein Ziel erreicht, Schrieb er mir einmal, und es war in erster Linie dem Mäcenatentum des Amsterdamer Bankiers Baron Rosenthal zu danken, wenn Meijer das Rijnsburger Spinozahaus erwerben und darin die Bibliothek Spinozas zusammenbringen konnte, deren Verzeichnis 1888 aufgefunden war. Am 24. März 1899 konnte das Spinozahuis der Öffentlichkeit übergeben werden.

Die Mitteilungen der Vereeniging Spinozahuis boten zwanzig Jahre hindurch Dr. Meijer als dem Secretaris die Möglichkeit, eine kritische Übersicht über die Neuerscheinungen der SpinozaLiteratur zu veröffentlichen. (Die Berichte sind zufammengefaßt in dem ersten Bande der Bibliotheca Spinozana: Spinozana 1897— 1922 bevattende Uittreksels uit de Jaarverslagen van den Secretaris der Vereeniging het Spinozahuis, Dr. Meijer als Ehrengabe zu seinem 80. Geburtstage 1922 von seinen Freunden dargebracht.) Vergebens hat jedoch Dr. Meijer den Versuch gemacht, gemeinsam mit seinem Freunde Mr. J. J. van Geuns, von der Vereeniging aus wissenschaftliche Publicationen zu veröffentlichen.

Als ich im Oktober 1916 Dr. Willem Meijer im Haag besuchte, sprach er mir auch von den Hoffnungen und Sorgen in der Weiterführung des von ihm begonnenen Werkes. Ein Jahr später schrieb er mir darüber — inzwischen war Hermann Cohens Angriff auf Spinoza erschienen, bei dem er sich für den angeblichen Antisemitismus Spinozas auf mich als Kronzeugen berufen hatte und Meijer hatte ihm in der Tijdschrift voor Wijsbegeerde geantwortet. In diefem Briefe heißt es:

Ich beehre mich anbei, Ihnen einen Artikel zu schicken meines in der Tijdfchrift voor Wysbegeerte erschienenen Aufsatzes über die Bedeutung und den Wert des Theol. Pol. Tractats. Ich bin zu der Aufnahme dieses Studiums aufgeregt durch den Angriff Professor Cohens auf Spinoza in dem Jahrbuch für Judenthum. Da nun dieser gleichsam sich auf Ihre Worte stützt und von diesem Punkte aus Spinoza zu erniedrigen sucht, war ich genötigt, auch Ihren Namen hierin zu nennen. Obgleich ich nun Ihre Aussage in dieser Angelegenheit bloß als einen Lapsus calami betrachtete, tat es mir doch leid, gleichsam auch Sie zu bekämpfen, hoffe aber, daß dieses Incident Ihre günstige Meinung von meinem Werke, und die versprochene Mitwirkung an dem Spinozahaus in keiner Weise stören wird oder beeinflußen. Ich hoffe so sehr, daß Sie unseren Verein nachher, wenn ich nicht mehr da bin, stützen und fördern wollen, da Sie doch erst recht im Sinne Spinozas sich einstudirt haben und außerdem zu seinem Verftändnis Kenntnisse beizutragen imstande sind, die mir immer fehlten.

Die Zeitverhältnisse brachten es mit sich, daß ich erst nach mehr als einem Jahre, am 17. Mai 1919, Dr. Meijer antworten konnte:

Schon seit langem wollte ich Ihnen einmal schreiben, aber aus inneren und äußeren Gründen kam es nicht dazu. Wir haben seit den letzten dreiviertel Jahren so unendlich Schweres erlebt, daß Sie mein Schweigen sicherlich verstehen werden. Die Umwälzung in Deutschland hat für den einzelnen eine Menge politischer Pflichten mit sich gebracht. Wir mussen alles daran setzen, damit wir nicht gleichzeitig von innen heraus zerstört werden, so wie wir von außen her vernichtet werden sollen. Nur manchmal flüchte ich mich in den freien Stunden in die Welt Spinozas, die in der Reinheit und Klarheit ihrer Begriffe von dieser trüben Gegenwart so unendlich fern ißt. Dann denke ich oft an Sie und wünsche mir, ein Stündchen mit Ihnen zusammen in Ihrem Eiland des Friedens, in dem Rijnsburger Spinoza-Haufe zu verleben.

Ich habe Ihnen immer noch herzlichst für Ihren letzten Bericht zu danken, der für die Text-Kritik der Ethik so wertvolle Ergänzungen bringt, und den ich in dem Ethikband der Spinoza-Ausgabe der Heidelberger Akademie entsprechend würdigen werde. Ich hoffe, daß ich, wenn nicht die äußeren Umstände zu ungünstig werden, doch wieder an die Spinoza-Ausgäbe komme und vielleicht zuerst die vier Textbände, die ich ziemlich vollständig vorbereitet habe, gefondert von dem Kommentar herausgebe ….

Manchmal denke ich auch daran, ob es nicht möglich wäre, jetzt unsere Vereeniging Spinoza-Huisje zu einer Spinoza-Gefellschaft auszubauen. In Deutschland wäre sicherlish sehr viel Interesse dafür. Es müßte meines Erachtens von Holland aus in die Hand genommen werden, und dann müßten sich in den einzelnen Ländern nationale Sektionen bilden, die alle mit einer holländischen Zentrale in Verbindung stehen; denn wie die Verhältnisse augenblicklich liegen, ist an ein unmittelbares Zusammenarbeiten deutscher und französischer oder englischer Gelehrter in derselben Gefellschaft nicht zu denken.

Eine solche Spinoza-Gefellschaft hätte bedeutungsvolle Aufgaben. Sie müßte zunächst die Rijnsburger Spinozabibliothek zu einer großen zentralen Spinozabibliothek ausbauen, die alles, was über Spinoza je geschrieben worden ist, sammelt, und die Spinozaforscher durch Leihgaben von Werken unterstützen kann. Dann müßte die Spinoza-Gefellschaft die kleinen Berichte, in denen Sie eine so lehrreiche Übersicht über die Neuerscheinungen der Spinozaliteratur geben, entweder zu einem großen Spinoza-Jahrbuch oder am besten zu periodischen Spinoza-Studien in der Art der Kantstudien ausbauen. An einer guten Zeitschrift für Philosophie-Gefchichte fehlt es ja zurzeit überhaupt, nachdem das Archiv für Geschichte der Philofophie kaum mehr in Betracht kommt. Diese Spinoza-Studien müßten nicht nur Aufsätze über die Philosophie Spinozas, sondern aus dem ganzen Gebiete der Renaissance-Philosophie, die mit Spinoza im Zufammen-hang steht und gleichsam das geistige Reservoir seiner Philosophie bildet, veröffentlichen. Sie müßten also u. a. auch die Philosophie des Neuplatonismus der Renaissance, der Neuscholastik Descartes', Bacons, Hobbes', der Renaissance der Stoa usw. umfassen. Zwischen den Zeitschriften, die der Geschichte der mittelalterlichen Philosophie gewidmet sind und den Kantstudien klafst hier tatsächlich eine Lücke. Ich glaube, daß ein solches Jahrbuch, das natürlich in den Niederlanden erscheinen müßte, von den Jahresbeiträgen der Mitglieder der Spinozagesellfchaft und den Abonnements der Gelehrtenwelt und der Bibliotheken finanziell getragen werden könnte.

Vielleicht kann darüber hinaus die Tagung der Spinozagesellschaft etwas dazu helfen, die Mauer von Haß abzutragen, die jetzt, auch noch zwischen den Geistigen der einzelnen Völker, sich erhebt. Durch eine solche Spinozagesellschaft und derartige Spinoza-studien könnte in gemeinsamer Arbeit das große Problem der Spinozistischen Philosophie gelöst, und eine bedeutungsvolle Periode der Geiftesgeshichte erschlossen werden. Das Beispiel der Kant- und Schopenhauer-Gefellschaft kann dabei ermutigen.

Vielleicht gibt Ihnen die Tagung der Vereeniging Spinoza-Huisje in diesem Frühjahr die Möglichkeit, einmal den Gedanken mit anderen zu besprechen. Sehr gerne würde ich einmal an einer folchen Tagung teilnehmen. Wann wird die nächfte sein?

Freudig ging Dr. Meijer auf meinen Vorschlag ein; schon nach wenigen Tagen Schrieb er mir: Ihren Brief habe ich in guter Ordnung empfangen und freue mich sehr über Ihre Sympathien für unseren Verein, der erst recht seine Bestimmung erreichen wird, wenn er international dem Spinozastudium sich widmet. Ich werde den Brief nächßens (das Datum ist noch nicht bestimmt) unserer Versammlung vorlegen, Indessen ist damit noch nur der erste Schritt getan. Es wird erstens bei uns in außerordentlicher Versammlung festgestellt werden müssen, ob man sich mit Ihrer Idee vereinigen kann, und dann sind weitere Besprechungen, wie ich hoffe, mit Deutschland zu führen. Ihr Plan ist famos und Spinozas würdig, und haben wir alle noch zu überlegen, wie wirs machen werden. Indessen kommen wird es, sobald der richtige Völkerbund zustande gekommen ist. Wir werden Bericht erstatten, sobald das Datum der ersten Versammlung festgestellt ist und Ihnen mitteilen, wenn Sie nicht dasein könnten, wie die Sache aufgenommen ist.

Indessen kam bei der Mitgliederversammlung der Vereeniging het Spinozahuis im Juni 1919 die gegebene Anregung gegen den Willen Meijers nicht zur Erörterung, und bei der  Mitgliederversammlung des folgenden Jahres, der ich Selbst beiwohnen konnte, zeigte sich eine geteilte Meinung, indem gerade die Hälfte der Anwesenden die Ansicht vertrat, daß die Vereeniging het Spinozahuis ihren Charakter als eine ausschließlich holländische Gefellschaft bewahren müsse und daß überdies eine große Zahl ihrer Mitglieder nicht aus Anhängern der sapinozanischen Philofophie bestehe und es darum auch nicht angängig sei, von der Vereeniging Werke ausgehen zu lassen, die den Spinozismus förderten.

Dr. Meijer und ich beschlossen nun, die von uns geplante Gesellschaft unabhängig von der Vereeniging Het Spinozahuis als Societas Spinozana aufzurichten, und am 1. Juli 1920 konnte im engsten Kreise die Gründungsversammlung stattfinden, sodaß mir Dr. Meijer nach meiner Rückkehr nach Deutschland launig schreiben konnte:

Die Societas Spinozana ist ideell zustande gekommen und lebt im Platonischen Himmelreich, Wir beide sind Promotoren oder Posfaunen-Engel. Der Eintritt Sir Frederick Pollocks, Leon Brunschvicgs und Harald Höffdings in das Curatorium der Gefellchaft gab ihr auch die Existenz in der wissenschaftlichen Wirklichkeit und machte aus ihr die erste Körperschaft internationaler Zufammenarbeit nach dem Kriege. Dr. Meijer unternahm es, der Gesellschaft Mitglieder in Holland und im Ausland zu werben, während ich die ersten Publicationen in die Wege leitete. Und im Frühjahr 1922 konnte der erste Band des Chronicon Spinozanum als Zeugnis internationaler Zusammenarbeit in einer noch allzusehr zerspaltenen Welt erscheinen. Damals Schrieb mir Willem Meijer, und sein Brief— es ist wohl der letzte, den ich von dem damals schon von der Krankheit Berührten erhielt — mag gleich einem Vermächtnis hier Stehen:

Ik ben U dankbaar voor wat gy gedaan hebt en wensch U geluk met het succes dat ge ook behaald hebt door de grootste antagonisten van de wereld, onder de vaan van Spinoza en in zijn naam by elkaer te brengen. Wat de wysheid der diplomaten en ‘t geweld der moderne mordwerktuigen niet vermochten, is in naam en uit naam van Spinoza gewrocht.

Dankbaar ben ik, dat ik het nog heb mogen beleven. Moge deze Volkenbond hoe ideel ook van aard even zuiver blijven als hij is opgezet en een basis vormen voor toenadering ook op ander gebied waar thans nog zoo geweldig verdeeldheid heerscht.

De Koopman, de priester en de soldaat kunnen ieder op hun wijze veel menschen te zamen brengen, maar het eigenbelang, het geloof en het geweld kunnen geen duurzame vrede fliehten.

Dat kan alleen de vera philosophia.

In vielen kleineren Schriften und Artikeln hat Willem Meijer um das Verständnis der Lehre Spinozas gerungen und es zu verbreiten gesucht, und wie er die Lehre Spinozas dargestellt, wird stets aufmerksamster Betrachtung wert bleiben. Seine Auffässung ist durch einen reinen Rationalismus bestimmt gewesen, der sich auf Spinozas Dictum berufen durfte: clara ratio infallibilis. Mir selbst hat er einmal eingestanden, daß er zum fünften Buche der Ethik kein rechtes Verhältnis habe. Mit dem sinkenden Leben trat hierin ein Wandel ein und daß er, in letzter Zeit mehr der Beschauung sich widmend, allmählich der mystischen Einsicht größeren Wert zuerkannte, ist wohl bezeugt. Seine letzte Untersuchung, die das Chronicon Spinozanum veröffentlichte, galt der Verbindung Spinozas mit der arabischen Mystik des Hay Ihn Jokhdan. Denkt auch der freie Mensch an nichts weniger als an den Tod, so ist sein Leben ein Reif werden zum Tode. Wer ganz in sich beruht, beruht in Gott. Das Veränderliche schwindet vor den festen und ewigen Dingen, und die inschauende Erkenntnis steht statt aller Erkenntnis minderen Grades. Indem mit dem Körper die Vorstellung zu nichte wird, bleibt jenes Teil der Seele, das nicht der Zeit mehr angehört, weil es reine Handlung ist.

Uns bleibt das Werk Willem Meijers, das wir als ein Vermächtnis am treuesten hüten, wenn wir es nicht in starrer Form conservieren, sondern wenn wir, schöpferisch aus neuer Zeit, die Gestalt ihm geben, in der es am tiefsten und reinsten dem Leben dient.

 

Frankfurt am Main.                                               CARL GEBHARDT.